Stadtrat Kaufbeuren muss eine aktivere Rolle einnehmen 31. März 201925. Juli 2019 Oliver Schill, Fraktionsvorsitzender im Stadtrat Kaufbeuren Die jährliche Debatte zur Verabschiedung des Haushalts bietet im Stadtrat Kaufbeuren allen Fraktionen die Gelegenheit, generelle Dinge anzusprechen. Wir veröffentlichen hier die diesjährige Rede unseres Fraktionsvorsitzenden Oliver Schill. Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch in diesem Jahr ist es ist wieder soweit. Der jährliche Haushalt steht zur Abstimmung bereit. Ich danke dem Oberbürgermeister, dass er einen Termin finden konnte, der es mir möglich macht, zum vorliegenden Haushalt heute persönlich vorzutragen. Mit unserer Zustimmung im vorberatenden Verwaltungsausschuss haben wir unsere Wertschätzung gegenüber den Mitarbeitern der Verwaltung für die geleistete Arbeit zum Ausdruck gebracht. Die Aufstellung des Haushalts ist bekanntlich ein Prozess, der sich über mehrere Monate erstreckt, und entsprechend Disziplin, Ausdauer und funktionierende Zusammenarbeit erfordert. Dafür vielen Dank. Wie in den Vorjahren gibt uns die anstehende Abstimmung über den Haushalt Gelegenheit, über Grundsätzliches zu reflektieren. Wenn wir innehalten und betrachten, wie sich „Politik machen“ verändert hat, global wie auch lokal, dann wird klar, wie aktuell und bedeutend dabei die Frage nach dem Stil beim „Politik machen“ für den Zusammenhalt und den inneren gemeinschaftlichen Frieden unserer Gesellschaft ist. Deshalb ist und bleibt unsere Leitfrage: Sind wir mit dem Politikstil, den wir hier erfahren haben, einverstanden? Selbstverständlich sind Inhalte und Positionen, die wir jeweils vertreten und zu erreichen versuchen, wichtig. Doch ebenso wichtig, wenn nicht sogar viel wichtiger ist die Frage, wie wir Inhalte und Positionen vertreten und zu erreichen versuchen. Dabei sollte es geradezu selbstverständlich sein, einen Stil, einen politischen Stil zu etablieren und zu leben, bei dem wir gemeinsam nach Lösungen und Wegen suchen, basierend auf einem Dialog, einer Debatte, einem Gedankenaustausch auf Augenhöhe. Bereits im vergangenen Jahr durften wir hierzu Positives berichten, was vor dem Hintergrund unseres gemeinsamen Einstands in diese noch laufende Wahlperiode nicht unbedingt zu erwarten war. Wenn es um das Positive geht, erinnern wir stellvertretend gerne an das Thema Umzug und Neubau Moschee. Nicht nur bei diesem Thema, aber gerade bei diesem Thema hat sich gezeigt: Es war nicht mehr alles entweder nur richtig oder nur falsch, entweder nur schwarz oder nur weiß. Und das vor allem auch dann nicht, wenn es um das persönliche Miteinander über die Fraktionen hinweg ging. Unserer Wahrnehmung nach war diese positive Erfahrung aus dem Vorgehen in Sachen Moschee so ansteckend, dass sich – wenn auch in ganz kleinen Schritten – unser gemeinsamer Politikstil insgesamt verbessert hat. Es haben sich neue Kommunikationskanäle in – fast – alle Fraktionen geöffnet, die auch regelmäßig genutzt werden. Positionen, Gedanken, Argumente lassen sich respektvoll austauschen und zur Diskussion und Abwägung stellen, ohne Gefahr zu laufen, mit den bekannten Totschlagargumenten und Killerphrasen abgekanzelt oder gar persönlich diskreditiert zu werden. Eine Debatte – und ich vermeide bewusst das negativ besetzte und in den Medien leider allzu oft verwendete Wort „Streit“ – eine Debatte im Sinne des Gedankenaustauschs und der Meinungsbildung zugunsten einer Sache mit Stil zu führen, genau dafür sind wir gewählt. Erfreulich wäre, wenn sich die von uns aufgezeigte positive Entwicklung anerkennend in der Berichterstattung niederschlagen würde. Berichte über den Streit so genannter Alphatiere blenden diejenigen Akteure aus, die in der Sache vorankommen möchten und denen lautsprecherartige Selbstdarstellung eher fremd ist. Warum soll mit Öffentlichkeit belohnt werden, wer gezielt Streit sucht? Warum soll mit Öffentlichkeit belohnt werden, wer persönlich einen Politikstil pflegt, der dazu beitragen kann, die aufgezeigte positive Entwicklung wieder zunichte zu machen? Ein Stil, bei dem nur das zählt, was persönlich nützt? Unabhängig von eben einer solchen Einzelerscheinung überwiegt dann doch die insgesamt positive Entwicklung hier in diesem Gremium selbst. Gleichwohl sehen wir noch Entwicklungspotential insbesondere in der Zusammenarbeit von Stadtrat auf der einen und dem Oberbürgermeister mit seinem Verwaltungsapparat auf der anderen Seite. Stellvertretend dürfen wir das Thema Afraberg ansprechen. Frühzeitige, nicht nur nachrichtliche, sondern inhaltliche Beteiligung des Stadtrats hätte dem Verfahren gut getan. Wir sind überzeugt, dass die ein oder andere Tasse aus dem Porzellanschrank hätte ganz bleiben können, wäre man wegkommen vom „Wir befassen den Stadtrat erst dann, wenn etwas beschlussfähiges vorliegt“. Auf das Potential, das diesbezüglich in der Fraktionssprecherrunde brach liegt, haben wir bereits mehrfach hingewiesen. Wir verzichten darauf, weitere Beispiele zu benennen, denen genau das gleiche Problem zugrunde liegt, nämlich dem „Wir befassen den Stadtrat erst dann, wenn etwas beschlussfähiges vorliegt.“ Vielmehr wollen wir Sie, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, dazu einladen, über unser Rollenverständnis nachzudenken. Wollen wir – und ich formuliere jetzt bewusst überspitzt und bildhaft ohne den Hintergedanken einer Provokation – wollen wir ein reiner „Abstimmungsautomat“ sein, der möglichst effizient über Verwaltungsvorlagen abstimmt, die in der Regel nicht einmal alternative Entscheidungsmöglichkeiten beinhalten? Wir gemeinsam haben es in der Hand, eine aktivere Rolle einzunehmen und uns darüber bewusst zu werden, dass der Oberbürgermeister und seine Verwaltung unser Vollzugsorgan sind. Es ist allein in unserer Verantwortung, wie wir unsere Rolle ausfüllen. Weder der Oberbürgermeister noch die Verwaltung, sondern wir selbst entscheiden darüber, wie aktiv wie wir Politik machen. Und auch das ist eine Frage des Stils, wenn nicht sogar die entscheidende. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir freuen uns darauf, mit Ihnen gemeinsam weitere positive Schritte zu gehen, dabei gemeinsam einen Stil zu pflegen, der den Bürgerinnen und Bürger wieder Lust macht, an unserer ehrenamtlichen Arbeit teilzuhaben, der unsere Bürgerinnen und Bürger Stolz macht auf unsere hier gemeinsam geleistete Arbeit und unsere Bürgerinnen und Bürger dann mit Freude im kommenden Jahr 2020 möglichst zahlreich zur Wahlurne gehen lässt. Dies verbunden mit dem dankbaren Gedanken, dass wir zwar nicht in einer perfekten, doch im Prinzip in einer wunderbaren Demokratie leben dürfen. Vielen Dank.
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